banner
Heim / Nachricht / Nord Stream-Sabotage: Die bisherigen Beweise
Nachricht

Nord Stream-Sabotage: Die bisherigen Beweise

Jun 02, 2023Jun 02, 2023

Die Entdeckung

Am 26. September informierte die in der Schweiz ansässige Nord Stream AG, der Betreiber der Nord Stream-Pipelines, die dänischen Behörden über einen Druckabfall an den Anlandungsstellen von Nordstream 2 in Russland und Deutschland. Bereits um 13:56 Uhr dänischer Ortszeit gab die nationale Schifffahrtsbehörde (Søfartsstyrelsen) eine Navigationswarnung für ein Seegebiet südöstlich von Bornholm heraus, nachdem ein Leck in der ausschließlichen Wirtschaftszone entdeckt worden war. Damals schien eine natürliche Ursache noch möglich. Diese Einschätzung änderte sich jedoch spätestens am selben Abend, als die Nord Stream AG erneut Kontakt zu den Küstenbehörden aufnahm und einen Druckabfall in Nord Stream 1 meldete. Um 20:41 Uhr folgte eine weitere Warnung für die Schifffahrt, diesmal aus Schweden. Etwa 80 Kilometer nordöstlich des ersten Lecks wurden zwei weitere Wolken auf der Meeresoberfläche in den ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens gesichtet. Aber dabei würde es nicht bleiben. Zwei Tage später, am Mittwoch, dem 28. September, erfuhr das schwedische Sjöfartsverket schließlich von einem vierten Leck, nur 4,8 Kilometer (ca. 2,6 Seemeilen) von der am Abend des 26. September gefundenen Leckstelle entfernt.

Das Undenkbare war geschehen. Die beiden Pipelines mit jeweils zwei innen und außen beschichteten Rohren aus hochwertigem Stahl und einer stabilisierenden Betonummantelung, die in ihrer massiven Bauweise Deutschland und Teile der EU über eine Distanz von 1.224 Kilometern mit billigem russischem Erdgas versorgen sollten, war zum Ziel eines Angriffs geworden.

Erste Hinweise auf Sabotage gaben seismische Ereignisse im südwestlichen Ostseeraum, die am 26. September im Abstand von siebzehn Stunden aufgezeichnet wurden. Das frühere, schwächere Erdbeben um 2:03 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) hatte eine Richterstärke von 1,9, während das spätere und Das stärkere seismische Ereignis hatte um 19:03 Uhr MESZ eine Stärke von 2,3. Die Nord Stream-Ereignisse wurden in den Anrainerstaaten der südlichen Ostsee unterschiedlich wahrgenommen. Björn Lund, ao. Prof. Der für Seismologie am Schwedischen Nationalen Seismologischen Netzwerk (SNSN) zuständige Professor gab in seiner Antwort auf meine schriftliche Frage an, dass die Explosionen von etwa 60 SNSN-Seismographen in einer Entfernung von bis zu 1200 km gut aufgezeichnet wurden. In Dänemark lieferten aufgrund der Geologie und der örtlichen Lärmbedingungen nur zwei dänische Stationen (GEUS) auf der Insel Bornholm Daten. Das Problem des Signal-Rausch-Verhältnisses (SNR) betraf auch Deutschland, wo nur die erste Explosion registriert wurde. Weitere Daten sind von NORSAR verfügbar, das ungefilterte Registrierungen verbreitet.

Björn Lund identifizierte sie schon sehr früh als vom Menschen verursachte seismische Ereignisse. Dies wurde durch die Tatsache gestützt, dass die Erschütterungen in einem Meeresgebiet mit geringer seismischer Aktivität aufgezeichnet wurden, dass die Welleneigenschaften von Erdbeben anders aussehen und dass Stärken dieser Größe als tektonische Erschütterungen harmlos wären. Darüber hinaus war der schwedische Universitätsprofessor auch der erste, der die Möglichkeit einer weiteren Detonation innerhalb des engen Zeitrahmens der zweiten Explosion zur Sprache brachte. Björn Lund bestätigte seine frühere Vermutung jedoch weiter, dass gegen 19:04 Uhr MESZ eine zweite und eine dritte Explosion mit 8 Sekunden Verzögerung folgten. Die Ergebnisse der gemeinsamen Untersuchung seines SNSN mit dem dänischen GEUS und dem norwegischen Institut NORSAR werden voraussichtlich im Jahr 2023 veröffentlicht und sind von hoher Relevanz, da bisher nur von zwei Explosionen und vier Lecks die Rede war.

Der Standort

Obwohl der Ort der Gaslecks zunächst zufällig erscheint, lässt sich aus den drei relativ nahe beieinander liegenden Lecks eine Bedeutung ableiten. Sie konzentrieren sich in einem kleinen Radius an einem Ort, der eine Besonderheit aufweist: Sie bilden den Abschluss der parallel verlaufenden Pipeline in tiefen Gewässern. Danach durchschneidet Nord Stream 1 die dänischen Hoheitsgewässer nur zehn Kilometer von der Küste Bornholms entfernt, während Nord Stream 2 nach Süden abbiegt und das Zentrum eines Chemiemunitions-Knödellagers umgeht. und dänische Hoheitsgewässer. Die Pipelines verlaufen dann erst wieder parallel zur deutschen Küste südwestlich von Bornholm auf Höhe des Adlergrunds. Dort erreicht die Ostsee zunächst eine Tiefe von 47 Metern, bevor sie auf 15 und 6 Meter abflacht. Der Ort der Sprengung bildet somit den letzten parallelen Punkt in größerer Tiefe. Dieses Detail kann auf zwei Arten interpretiert werden: Die Lage der Pipelines im flachen Meeresboden könnte eine Reparatur zu einfach machen, oder die Tiefe war für die Durchführung des Angriffs erforderlich. Thematische Karten zeigen ein weiteres charakteristisches Merkmal: Beide Schauplätze der Sabotage liegen in der Nähe internationaler Unterwasserkabel. Weniger als zwei Kilometer von den drei Lecks nordöstlich von Bornholm entfernt verläuft der C-Lion parallel zu den Nord Stream-Pipelines und SWEPOL kreuzt sie. Ebenso ist das Leck, das bei Nord Stream 2 südöstlich von Bornholm aufgetreten ist, nur etwa 5 Kilometer vom Unterseekabel GK-22 entfernt. Darüber hinaus kreuzen weitere Kabel die Pipeline in einer Entfernung von knapp 20 bis 25 Kilometern.

Das Ausmaß des Schadens wird bisher durch drei private Tauchgänge in der schwedischen AWZ verdeutlicht, während staatliche Ermittlungen der Geheimhaltung unterliegen. Am 18. Oktober 2022 veröffentlichte die schwedische Tageszeitung Expressen Aufnahmen eines zerstörten Abschnitts von Nordstream 1 in einer Tiefe von 76 Metern und einer Länge von mindestens 50 Metern, aufgenommen von einer Unterwasserdrohne von BlueEye Robotics im Auftrag der Zeitung . Am 2. November 2022 berichtet die Nord Stream AG, dass das Unternehmen außerdem „die erste Datenerfassung am Ort des Pipelineschadens an Leitung 1 in der schwedischen ausschließlichen Wirtschaftszone abgeschlossen hat … Nach vorläufigen Ergebnissen der Inspektion der Schadensstelle wurden vom Menschen verursachte Krater mit a Auf dem Meeresboden wurden in einem Abstand von etwa 248 m voneinander Tiefen von 3-5 Metern gefunden. Der Rohrabschnitt zwischen den Kratern ist zerstört, der Ausbreitungsradius der Rohrfragmente beträgt mindestens 250 Meter.“ Und schließlich wurde am 30. November bekannt, dass Greenpeace die Umweltschäden mit einem Tauchroboter untersucht hatte. Dabei stellte die NGO zu ihrer Überraschung fest, dass trotz der Schäden auf einer Länge von 250 Metern nur wenige Trümmerstücke zu sehen waren. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass bei den vorangegangenen behördlichen Ermittlungen, die der Geheimhaltung unterliegen, Teile entfernt wurden.

Sabotagetheorien

Zu den ersten Sabotagetheorien gehörte die Detonation durch ein „Schwein“, einen ferngesteuerten Reinigungsroboter in den Pipelines. Kenneth Buhl vom dänischen Royal Defence College sprach bereits am 27. September 2022 in Atlas News von der Anbringung einer Sprengladung an der Pipeline. In die gleiche Richtung äußerte sich auch Thorsten Pörschmann. Der Wehrtechnikexperte war Interviewpartner von Christian Rieck, einem Universitätsprofessor für Finanzen in Frankfurt, dessen wöchentliche YouTube-Sendung zur Spieltheorie rund hunderttausend Zuschauer anzieht und dessen Sendung zur Nord-Stream-Sabotage rund 1,4 Millionen Zuschauer erreichten. Bei der Analyse der schwedischen Aufnahmen ging Pörschmann aufgrund der weitreichenden Zerstörung der Pipeline von U-Booten und der Verlegung von Bodenminen aus. Die jüngste Theorie zur Explosion stammte vom Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh. Er brachte C4-Sprengkörper ins Spiel, die von Tauchern der US-Marine an den Pipelines angebracht und später durch Sonarbojen ausgelöst wurden.

Das Geheimnis der unterschiedlich großen Gasblasen

Eine weithin beiseitegeschobene Kuriosität stellt der immens unterschiedliche Radius der austretenden Gasfahnen dar. Laut einem gemeinsamen Brief Dänemarks und Schwedens an den UN-Sicherheitsrat vom 29. September 2022 entwickelte der Explosionseinschlag eine Kraft, die zu einem Radius der Fahnen auf der Meeresoberfläche von 555 bzw. 680 Metern in der dänischen AWZ führte 900 und 200 Meter in der schwedischen AWZ. Aus den Größen und Ausmaßen des Gaslecks folgerte das Schreiben, dass die Sprengladungen „wahrscheinlich einer Sprengladung von mehreren hundert Kilo entsprachen“. Eine andere vom Spiegel veröffentlichte Schätzung, die angeblich auf deutschen Sicherheitsquellen basiert, geht von 500 Kilogramm TNT-Äquivalent pro Leck aus. NORSAR wiederum gab an, dass die erste Detonation ein TNT-Äquivalent von 190–320 Kilogramm und die zweite eine Wucht von 650–900 Kilogramm hatte. Auffällig an der Sabotage ist, dass zwar zwei der vier Lecks Nord Stream 2 betrafen, innerhalb von 17 Stunden jedoch nur Strang A an zwei Stellen gesprengt wurde. Wenn man darüber hinaus die Größe der Gasblasen berücksichtigt, lohnt es sich auch darauf hinzuweisen, dass eines der Nord Stream 2-Lecks nur etwas mehr als ein Fünftel der Größe des größten Lecks der Sabotage betrug.

Der Sprengstoff wurde vermutlich mittels eines Abzugs gezündet, was den zeitlichen Zusammenhang der Platzierung der Sprengladung verwischte und es den Saboteuren zudem ermöglichte, den Tatort unentdeckt zu verlassen. Offenen Quellen zufolge ist auch unklar, mit welchen Mitteln die Saboteure den Sprengstoff zu den Pipelinerohren transportierten, zumal derzeit – abgesehen von der unbewiesenen Behauptung von Seymour Hersh – keine Informationen über die verwendeten Sprengstoffe und deren tatsächliches Gewicht veröffentlicht werden. Experten sprechen vom Einsatz von (Mini-)U-Booten, ferngesteuerten Unterwasserdrohnen, einem Fischereifahrzeug oder einem Kriegsschiff als Basis für den Einsatz von Spezialkräften.

Abschluss

Zusammenfassend wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein staatlicher Akteur der Täter war. Durch Björn Lund wissen wir, dass die seismischen Netzwerke drei Explosionen registriert haben. Einer südöstlich von Bornholm und zwei nordöstlich von Bornholm. Es wurden jedoch vier (1+3) Lecks von der Marineverwaltung entdeckt. Die Lage der drei Lecks nordöstlich von Bornholm weist eine Besonderheit auf: Sie bilden den Abschluss der parallelen Pipeline in tiefen Gewässern.

Die unterschiedlichen Radien der Gasfahnen deuten darauf hin, dass unterschiedliche Sprengstoffmengen verwendet wurden – bzw. dass die Sprengstoffe unterschiedlich nah an den Pipelines positioniert waren. Auf jeden Fall lässt die Tatsache, dass nur eine der beiden Nord Stream 2-Röhren gesprengt wurde, wundern. Konkret wirft es drei Fragen auf: Wurde eine Technik verwendet, die keine präzise Platzierung zuließ, lag aus Eile Nachlässigkeit vor oder wurde Nord Stream 2 absichtlich verschont?

Für freundliche Informationen möchte ich mich bei Herrn Ture Falbe-Hansen von der dänischen Energityrelsen bedanken; Herr Jacob Saaby Lorenzen vom dänischen Søfartsstyrelsen; Frau Sara Eriksson vom schwedischen Sjöfartsverket, Herr Björn Lund, ua. Prof. für Seismologie am Schwedischen Nationalen Seismologischen Netzwerk (SNSN) und Herrn Christian Rieck, Universitätsprofessor für Finanzen in Frankfurt am Main.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten gehören ausschließlich den Autoren und spiegeln nicht unbedingt die von Geopoliticalmonitor.com wider.

Werden Sie Mitglied und erhalten Sie vollen Zugriff auf:

Die EntdeckungDer StandortSabotagetheorienDas Geheimnis der unterschiedlich großen GasblasenAbschluss